Verfolgt, vertrieben und vernichtet

WA, Freitag 27.05.2022

Am Dienstag werden 18 Stolpersteine zur Erinnerung an Opfer des NS-Regimes
verlegt.
Hamm-Mitte
Mit Stolpersteinen wird in ganz Europa an die Verfolgung,
Vertreibung und Vernichtung von Opfern des Nationalsozialismus erinnert.
In Hamm werden am Dienstag, 31. Mai, weitere dieser kleinen Gedenksteine
verlegt, die im Gehwegpflaster vor den letzten Wohnsitzen der NS-Opfer an
diese erinnern. Die Biographien hat in gewohnter Weise die „AG Stolpersteine“
der Friedensschule recherchiert. Die Stolpersteine sind ein Kunstprojekt
des Kölner Künstlers Gunter Demnig.

Früher feine Wohngegend, heute Parkplatz: Der südliche Teil des Friedrichsplatzes (heute Theodor-Heuss-Platz) um 1910. Die Häuserreihe befand sich südlich des Oberlandesgerichtes (rechts im Bild, heute Rathaus). Die Herzbergs lebten im Doppelhaus Nummer 4/5, im Bild das zweite Gebäude von links. Stolpersteine sollen an sie erinnern. Heute befindet sich dort ein Parkplatz. Foto: stadtarchiv hamm

Bismarckstraße 14
Drei Stolpersteine werden für Paula Rollmann und ihre Kinder Arthur und
Marianne gesetzt. Hugo Rollmann hatte 1897 die Firma „Rollmann & Tovar
Stanz- und Emaillier-Werke“ in Ahlen mitgegründet, lebte mit seiner Familie
aber in Hamm. Er starb 1933. Seine Frau Paula wurde am 27. Juli 1942 in das
Ghetto Theresienstadt deportiert und dort am 31. Januar 1943 ermordet.
Ihr Sohn Arthur Rollmann kam 1901 in Dortmund zur Welt, war von Beruf Ingenieur
und wohnte bei seiner Mutter. Am 27. Juni 1937 starb er unter ungeklärten
Umständen. Marianne Rollmann wurde 1915 in Hamm geboren. Sie
konnte ihre Ausbildung nicht abschließen und emigrierte nach Palästina.
2011 starb sie in Israel.


Caldenhofer Weg 155
Wilhelm Hokamp wurde 1885 in Hamm geboren. Er war SPD-Mitglied und
hauptamtlicher Beigeordneter im Amt Pelkum. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums“ wurde Hokamp 1934 vom Dienst suspendiert
und zwangspensioniert. Nach Kriegsbeginn zunächst beim Kreis Unna
dienstverpflichtet, wurde Wilhelm Hokamp 1944 verhaftet und in das KZ
Sachsenhausen gebracht. Hier kam er ums Leben. Die genauen Umstände
seines Todes sind ungeklärt.

Feidikstraße 40a
Vier Stolpersteine erinnern an das Ehepaar Julius und Lina Günther, geb. Löwendorf,
und ihre Kinder Else und Heinz Wilhelm. Julius Günther betrieb an
der Feidikstraße 40a einen Papier- und Schreibwarenladen. Er musste diesen
aufgeben und betätigte sich als Handelsvertreter. Im Juni 1937 wurde er in
Herford verhaftet.
Vier Tage nach seiner Inhaftierung nahm er sich am 6. Juni 1937 in seiner Zelle
das Leben. Seine Frau Lina zog mit den Kindern zu ihrer Schwester Jenny
Rosenthal an die Weststraße 44. Von dort emigrierten sie und ihre Kinder im
Dezember des gleichen Jahres in die USA.


Fritz-Reuter-Straße 13
Leo Radtke, geboren 1897 in Rutzing (Westpreußen), kam 1916 nach Hamm.
Ab 1920 arbeitete er bei der Deutschen Reichsbahn und engagierte sich
schon früh in der dortigen Gewerkschaft. Er trat der SPD bei und war ab
1927 Betriebsratsvorsitzender der Bahnmeisterei und ab 1930 Gewerkschaftssekretär
des Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands (EdED).
Im Zuge der Zerschlagung der Gewerkschaften wurde er 1933 drei Mal verhaftet.
Nach seiner Freilassung engagierte Radtke sich im Untergrund für den
Widerstand gegen das NS-Regime. Als Mitglied der Internationalen
Transport-Föderation (ITF), einer Untergrundorganisation, die mithilfe der
Bahn Flugblätter nach Deutschland transportierte und Menschen bei der
Flucht unterstützte, riskierte er sein Leben und musste immer wieder untertauchen.
1937 wurden zehn Mitgliedern der Gruppe verhaftet. Leo Radtke wurde wegen
Hochverrats verurteilt und verbüßte eine Haftstrafe von vier Jahren
Zuchthaus unter schwersten Bedingungen. Nach seiner Freilassung 1941 lebte
er wieder mit seiner Familie in Hamm und arbeitete als Lagerverwalter.
Nach dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 wurde auch Leo Radtke
verhaftet und im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Nach seiner Befreiung arbeitete
er im Sonderdezernat bei der Bezirksregierung Arnsberg für die Betreuung
von NS-Verfolgten. Zudem wirkte er wieder in der SPD mit und setzte
sich auch für den Wiederaufbau der Gewerkschaften ein. Er verstarb 1969 in
Dortmund.


Ostenallee 31
Anna Silberstein, geboren 1868 in Friedland, kam 1927 aus Cottbus nach
Hamm und wurde Hausdame im Haushalt des Kaffeeröstereibesitzers Josef
Falk. Viel ist aus dem Leben Anna Silbersteins nicht überliefert. Fest steht
aber, dass sie nach 1936 Josef Falk sowohl nach Köln als auch 1939 nach
Berlin-Wilmersdorf begleitet hat. Von Berlin aus wurde sie – ebenso wie Josef
Falk – am 17. August 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und am
September 1942 ins Vernichtungslager Treblinka.


Ostenallee 137
Für Heinrich und Hildegard Rollmann sowie ihren Sohn Peter Ulrich werden
drei Stolpersteine gesetzt. Heinrich Rollmann wurde 1900 in Ahlen geboren.
Nach dem Tod seines Vaters Hugo sollte er seinen Teil der Firma „Rollmann
& Tovar Stanz- und Emaillier-Werke“ übernehmen. 1933 floh er mit seiner Familie
vor der nationalsozialistischen Verfolgung in die Niederlande. Nach der
deutschen Besetzung der Niederlande musste er untertauchen und fand bei
verschiedenen Familien ein Versteck.
Nach Kriegsende kam Heinrich Rollmann zurück nach Hamm und wollte seinen
Anspruch auf Entschädigung einfordern. 1954 reiste er nach Berlin, um
seine Angaben protokollieren zu lassen. Am 26. Mai 1954 starb er jedoch auf
dem Rückweg, aufgrund der schweren Jahre der Verfolgung, die schließlich
zu einem Herzleiden führten.
Seine Frau Hildegard, geb. Spohr, kam 1900 in Hamm zur Welt. Sie ging mit
ihrem Mann und ihrem Sohn Peter-Ulrich in die Niederlande. Sie sah sich
hier nach 1940 täglich den Bedrohungen durch die Nazis ausgesetzt.


Theodor-Heuss-Platz 4
Vier Stolpersteine erinnern an der Rückseite des Rathauses an Dr. Paul Herzberg,
seine Frau Thea und ihre Kinder Ruth und Rolf. Herzberg führte als
Rechtsanwalt zahlreiche Zivilprozesse vor dem Oberlandesgericht Hamm
und wohnt gleich neben, am Friedrichsplatz 4 (heute Theodor-Heuss-Platz).
Nachdem er als jüdischer Jurist von den Nationalsozialisten 1933 mit Berufsverbot
belegt wurde, emigrierte er mit seiner Familie in die USA.
Die repräsentativen Gründerzeithäuser auf der Rückseite des heutigen Rathauses
hatten den Zweiten Weltkrieg zwar mit nur leichten Blessuren überstanden,
wurden jedoch von der Stadt in den 1960er Jahren abgerissen, um
Parkplätze für die Stadtverwaltung anzulegen. Die Herzbergs wohnten zur
Miete in der Nummer 4; vom Haus Nummer 6 ist noch die Gartenmauer erhalten.


Weststraße 44
Zwei Stolpersteinen für Jenny Rosenthal, geb. Löwendorf, und ihre Tochter
Edith werden auf der Weststraße verlegt. Jenny Rosenthal war die Ehefrau
des Kaufmanns Joseph Rosenthal, der 1935 in Hamm starb. Die Tochter Edith
wurde 1906 in Hamm geboren, der Sohn Leo 1908. Seit 1911 wohnte die Familie
an der Weststraße 44, wo sie auch eine Firma, vermutlich eine kleine
Agentur, betrieben haben.
Leo Rosenthal wurde Mitglied der KPD und durch das Zentralkomitee nach
Moskau berufen. Er wurde 1938 wegen Spionage verhaftet und anschließend
erschossen. Seine Frau Margarethe kehrte nach Deutschland zurück, trat in
die SED ein und war im Ministerium des Inneren in der DDR tätig.
Edith Rosenthal emigrierte 1939 in die USA. Ihre Mutter wurde am 27. Juli
1942 über Dortmund in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort starb sie
am 20. Januar 1943.